Fiktive Einkünfte bei der Unterhaltsberechnung – neue Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts

Bei der Bemessung von Unterhaltsleistungen dürfen grundsätzlich fiktive Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt werden. Einfach ausgedrückt, setzt man das Einkommen an was der Verpflichtete erzielen könnte. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich der verpflichtete nicht ausreichend um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemüht und objektiv die Möglichkeit besteht, ein höheres Einkommen zu erzielen. Diese Voraussetzungen müssen auf nachvollziehbaren Annahmen beruhen und ausreichend begründet sein.

In den drei ähnlichen Verfahren hatten die Beschwerdeführer die zu weit gehende Annahme Ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerügt.

Ein aus Ghana stammender, ungelernter und der deutschen Sprache nur begrenzt mächtiger Küchenangestellter hatte bei einem Nettoverdienst von 1.027 € monatlich einen Unterhalt von 199€ zu zahlen. Nach Auffassung des Amtsgericht hätte der Beschwerdeführer bei entsprechenden Bemühungen einen Bruttostundenlohn von 10€ verdienen können. Beim entsprechenden Nettolohn hätte so eine Unterhaltszahlung von 176€ erfolgen können; die 23€ Differenz seien durch eine Nebentätigkeit auszugleichen.

Der zweite Beschwerdeführer, ein 1953 geborener Baumaschinist, war körperlich behindert und lebte von Sozialleistungen. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Unterhaltszahlung von 285 € und unterstellte dabei, dass bei überregionalen Bewerbungsbemühungen, z.B. als Pförtner oder Nachtportier, ein Einkommen von 1235 € zu erzielen sei.

Der dritte Beschwerdeführer war ebenfalls körperlich behindert und lebte auch von Sozialleistungen. Das AG verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Unterhaltszahlung von 225 €. Nach Auffassung des Gerichts entbindet die körperliche Behinderung nicht davon, alles ihm Mögliche zur Sicherung des Unterhalts zu unternehmen. Das AG ging dabei fiktiv davon aus, dass die Fähigkeit zur Zahlung vorlag, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen Bemühungen um Arbeit gemacht hatte.

Von den Beschwerdeführern eingelegte Rechtsmittel blieben erfolglos. Demgegenüber hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen auf, da sie die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG verletzen.

Nach der Auffassung des BVerfG sei zwar die Berücksichtigung fiktiver Einkommen grundsätzlich nicht verfassungswidrig, hierfür müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein.

Es muss zum einen feststehen, dass subjektive Erwerbsbemühungen des Unterhaltschuldners fehlen und zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte auch objektiv erzielbar sein. Hierbei sei auch das Alter, berufliche Qualifikation, Gesundheitszustand, Qualifikation und das Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen zu berücksichtigen.

Die angegriffenen Entscheidungen werden diesen Maßstäben nicht gerecht.

So hatte sich das OLG im ersten Verfahren etwa nicht hinreichend mit der Arbeitsmarktsituation für ungelernte Kräfte auseinandergesetzt und ohne nähere Begründung der eigenen Sachkunde angenommen, dass es einer ungelernten Fachkraft möglich sei, einen Bruttostundenlohn von 10 € zu erzielen.

In den beiden anderen Verfahren hatten die Rechtsmittelgerichte nach Auffassung des BVerfG zwar richtig festgestellt, dass die Beschwerdeführer sich nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hätten. Demgegenüber trafen die Gerichte jedoch keine Feststellung auf welcher Grundlage die Auffassung beruht, dass die Beschwerdeführer bei vollem Einsatz ihrer Arbeitskraft objektiv in der Lage wären ein höheres Einkommen zu erzielen. Hierzu hätte es einer konkreten Prüfung der Situation der Beschwerdeführer bedurft.

Beschlüsse des BVerfG vom 18.06.2012

1 BvR 774/10

1 BvR 1530/11

1 BvR 2867/11

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