Schadensersatz bei Filesharing – Eine Lehrstunde

André Stämmler

Was passiert, wenn im Filehsaring-Verfahren ein Richter sitzt, der von der technischen Materie mehr als nur ein bisschen Ahnung hat? Genau er gibt eine Lehrstunde zum Thema Schadensersatz, Technik und allem was dazu gehört.  So geschehen in einem lesenswerten Urteil des Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt.Der Vorsitzende unterrichte die Beteiligten zunächst über seine technische Sachkunde:

Der Vorsitzende war in den Jahren 2000 bis 2013 als selbständiger Softwareentwickler tätig, im Jahr 2001 war er darüber hinaus als Webdesigner beschäftigt, in den Jahren 2001 bis 2004 als angestellter Softwareentwickler und von 2001 bis 2010 als Netzwerk- und Systemadministrator angestellt.

Und dann geht’s los. Die Klage des Rechteinhabers wurde vollumfänglich abgewiesen. Zunächst wie in letzter Zeit so häufig, weil andere Personen als Täter jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnten. Das Gericht stellt dabei erfreulicherweise realistische Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast und führt aus

Der Beklagte hat seiner sekundären Darlegungslast dadurch entsprochen, dass er vorgetragen hat, in seinem Haushalt hätten auch sein volljähriger Bruder, sein volljähriger Cousin sowie weitere Freunde Zugriff auf seinen Internetanschluss.

Richtig vom Leder zieht das Gericht allerdings wenn es um die Schadensberechnung geht. Obwohl die Klage an diesem Punkt keine Erfolgsaussichten mehr hatte, findet das Gericht noch deutliche Worte für die Schadensberechnung. Sicherheitshalber. Eine Lehrstunde.Nach einem umfassenden Überblick über technische Fragen wird dann der Schadensersatzanspruch der Kläger aufgedröselt. Das Gericht berücksichtigt dabei die Geschwindigkeit des DSL-Anschlusses, das übliche Nutzerverhalten und die realistische Schadenshöhe mit maximal zu rechnen ist. Übrig bleibt am Ende ein Schadensersatz von 2,04 € für ein gesamtes Filmwerk.

Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen kann der Klägerin ein Schaden entstanden sein, den ihr der Beklagte hätte – nach der Lizenzanalogie – entrichten müssen, wenn er von ihr die Erlaubnis erworben hätte, 13,62 % des von ihr angebotenen Titels einem anderen zur Verfügung zu stellen. Selbst wenn die Klägerin derartige Rechte nicht mit den errechneten Quoten vertreibt, hätten vernünftige Lizenzvertragsparteien für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr im Zweifel exakt 13,62 % des Ladenpreises des streitgegenständlichen Filmwerks vereinbart. Das Filmwerk hat einen Ladenpreis von 14,99 €, sodass sich die Lizenzgebühr rechnerisch auf 2,04 € belaufen würde. Ob man diese Gebühr ansetzt oder davon ausgeht, zumindest der Ladenpreis für eine Lizenz sei geschuldet, kann hier dahinstehen.

Den maßgeblichen Streitwert dazu – aus denen die Gebühr für Rechtsanwälte und Gericht berechnet werden –  setzt das Gericht mit 14,99 EUR an.Das Gericht erkennt selbst, dass dieses Vorgehen die Verfolgung von Filesharing extrem unattraktiv machen dürfte, findet aber auch hierzu klare Worte:

Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.

Quelle: Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt, 13.08.2015 – 8 C 1023/15EDIT:Nach den vorliegenden Informationen hat die Klägerin gegen das Urteil Berufung eingelegt. 

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